Dienstag, 5. Januar 2010

Haruki Murakami: Schlaf

Im August 2009 erschien eine Neuauflage der Kurzgeschichte Schlaf von Haruki Murakami. Die Hardcover-Version umfasst etwa 80 Seiten mit zahlreichen wirklich gelungen Illustrationen der Geschichte, die das Buch zu einem tollen Erlebnis werden lassen.

Schlaf befasst sich mit einer verheirateten Frau, die seit siebzehn Tagen nicht geschlafen hat. Zunächst findet sie es natürlich seltsam und beängstigend, aber da sich keine Müdigkeit einstellt, beginnt sie in der Nacht, wenn ihr Mann und ihr Sohn schlafen, ein zweites Leben zu führen, welches dem ähnelt, das sie für ihre Ehe aufgegeben hat. Sie trinkt Cognac, liest (was sie lange nicht getan hat, obschon sie Literatur studierte) und schwindet immer stärker in dieses Paralellleben ab. Sie entfernt sich zunehmend von ihrem Ehemann, dessen Gesicht sie abstößt und vollzieht jede ihrer Alltagshandlung nur maschinell, agiert wie ein Apparat Ehefrau. Selbst wenn sie mit ihrem Mann schläft ist sie abwesend. Die Geschichte endet offen, auch wenn sich erahnen lässt, was mit ihr geschieht.

Ich mochte die Kurzgeschichte von Murakami, auch wenn sie durchaus etwas länger und dadurch vielleicht weniger offen hätte sein können. Die Illustrationen (zweifarbig: silber und dunkelblau) sind wirklich klasse und die gesamte Gestaltung des Buches ist sehr gelungen. Für Murakami-Enthusiasten eine wirklich tolle Sache. Anderen sei allerdings der Sammelband Der Elefant verschwindet von Murakami ans Gerz gelegt: Dort ist die Geschichte ebenfalls abgedruckt und das Buch kostet weniger als die Hälfte.

Montag, 4. Januar 2010

Max Frisch: Homo Faber

In Homo Faber lässt Max Frisch seinen Ich-Erzähler Walter Faber über die letzten fünf Monate seines Lebens berichten, die geprägt sind durch eine unglückliche, tragische Verkettung der Ereignisse. Auf einem verspäteten Flug trifft Faber durch Zufall den Bruder seines ehemaligen Komillitonen Joachim (dieser ist der Ehemann seiner Jugendliebe Hanna). Das Flugzeug muss durch technische Probleme notlanden. Er und der Bruder Joachims kommen ins Gespräch, wodurch Faber beschließt, mit ihm Joachim aufzusuchen. Sie finden ihn tot auf (Joachim hatte sich erhangen). Während der Bruder beschließt am Todesort zu bleiben, fliegt Faber nach New York. Dort entschießt er sich zu einer Schiffsreise nach Europa, auf der er die junge Sabeth (Elisabeth) kennenlernt.

Die beiden verlieben sich ineinander, da sie nicht wissen, dass sie einander Vater und Tochter sind und nach einer gemeinsam erlebten Mondfinsternis schlafen sie miteinander. Erst im weiteren Verlauf erfährt Walter Faber, dass Elisabeth die Tochter seiner Jugendliebe Hanna ist, die inzwischen in Athen wohnt. Zunächst verrechnet er sich, was ihre Geburt angeht, aber als er und Elisabeth in Griechenland verweilen und seine Tochter von einer Schlange gebissen wird, eine Klippe hinabstürzt und im Krankenhaus an ihren Verletzungen stirbt, erfährt er von Hanna, dass sie seine und nicht Joachims Tochter war.

Nach dem Tod seiner Tochter entscheidet sich Faber seinen Job zu kündigen und Hanna zu heiraten, unternimmt jedoch zuvor eine letzte große Reise, die von der Trauer um seine Tochter überschattet wird. Gleichzeitig entpuppt sich sein Magenleiden als Krebserkrankung. Walter Faber ahnt, dass er sie nicht überleben wird und kehrt nach Athen zurück, um sich dort behandeln zu lassen.

Max Frisch setzt sich in seinem Buch mit diversen Themen auseinander. Aus meiner Sicht werden insbesondere die Identitäsproblematik der Figuren, sowie die Thematik der Vergänglichkeit des Lebens gut umgesetzt. Ebenfalls wird der Konflikt zwischen Mensch und Maschine dargestellt. Besonders gelungen ist aus meiner Sicht außerdem die Darstellung des Wandels, den Faber durchmacht. Zunächst schreibt er einen einfachen Bericht, lässt seine Gefühle jedoch im Laufe des Buches immer stärker hervortreten. Ich würde das Buch auf jeden Fall weiterempfehlen.

Mittwoch, 30. Dezember 2009

Hanna Poddig: Radikal Mutig. Meine Anleitung zum Anderssein.


"Hanna Poddig passt in keine Schublade." Mit diesem und ähnlichen Sätzen bewirbt der Rotbuch Verlag Hanna Poddigs Anleitung zum Anderssein. Sie ist Veganerin (Freeganerin, um exakt zu sein - Hanna nimmt ihre Lebensmittel aus den Müllcontainern von Supermarktketten, die Lebensmittel wegwerfen, obwohl diese nicht abgelaufen sind), Vollzeitaktivistin und Umweltschützerin.

Ihre Anleitung zum Anderssein ist weniger eine Anleitung für ein widerständiges Leben gegen die Konsumgestörte Gesellschaft, sondern vielmehr eine Anleitung Hannas Art zu leben zu verstehen. Vieles macht für sie keinen Sinn. Die Tatsache, dass jeden Tag Millionen Kalorien weggeworfen werden, während über 20.000 Menschen pro Tag verhungern ist nur eine von vielen, die in diesem Buch thematisiert werden. Atom-Strom und Macht der Konzerne werden ebenso angesprochen, wie der Rüstungsetat und Aufgabenbereich der Bundeswehr, nicht hinterfragte Polizeigewalt, sowie Offene Beziehungen und Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft. Zu jedem dieser Themen und noch einigen mehr stellt Hanna glaubhaft ihre Sicht der Dinge dar und geht dabei mitunter auch kritisch mit eigenen Mitstreitern der Anti-Atom-Bewegung ins Gericht.

Gleichzeitig berichtet Hanna aus ihrem eigenen widerständischen Leben, schildert Eindrücke aus Gefängniszellen, gelungen und weniger gelungen Aktionen gegen Atomenergie und Militarimus und welche Repressionen Aktivist_innen erwarten können.

Auch wenn dem Buch der oft thematisierte rote Faden etwas abhanden kommt, erfüllt Hannas Buch seinen Zweck: Es regt zum Nachdenken an und bietet insb. für Interessierte, die bisher keinen Zugang zu Themen der Umwelt- und Antimilitarismusbewegung hatten, einen guten ersten Überblick über Themenbereiche und die aus ihnen resultierenden Probleme. Gleichzeitig ist Hanna Poddigs Radikal mutig aber auch für Menschen, die sich bereits mit der Materie auseinandergesetzt haben, ein guter Anhaltspunkt, um über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.

Dienstag, 29. Dezember 2009

Finn-Ole Heinrich: Gestern war auch schon ein Tag. Erzählungen.

Von mir gibt es ja wenig bis keine Blogs, aber dieser Erzählband von Finn-Ole Heinrich verdient es wirklich, speziell erwähnt zu werden. Gefiel mir “die taschen voll wasser”, insb. die Kurzgeschichte zu Lucy, die zu jeder Jahreszeit Gummistiefel trägt, schon sehr, wusste auch Finn-Oles Roman “Räuberhände” wirklich zu gefallen. Mit seinem zweiten Erzählband “Gestern war auch schon ein Tag”, der die Tage beim Hamburger mairisch-Verlag erscheint, beweist er, dass er gekommen ist, um zu bleiben. Mitreißende, aufwühlende Kurzgeschichten im tollen Erzählstil. Davon bitte mehr :)

Der Verlag zur Veröffentlichung:

“Hard stuff, immer aktuell - sowas brauchen wir!” Clemens Meyer

Susan fehlt ein Bein. Tom ist die Treppe runtergefallen. Und Henning lügt so lange, bis er die Wahrheit sagt. Finn-Ole Heinrich erzählt von Menschen, die ins Schwanken gekommen sind, die das Leben mit aller Härte umgeworfen hat. Und die nun wieder aufstehen müssen.

Finn-Ole Heinrich zählt zu den großen Talenten der deutschen Gegenwartsliteratur. Bereits seine ersten beiden Bücher, die taschen voll wasser (Erzählungen, 2005) und Räuberhände (Roman, 2007), wurden von Lesern und Presse gefeiert.

Mit Gestern war auch schon ein Tag erreicht sein Schreiben jetzt eine neue Stufe. Diese Texte hinterlassen in ihrer Ehrlichkeit, sprachlichen Klarheit, ihrer Sensibilität und auch in ihrem Humor beim Leser eine Faszination, die lange trägt.

–> http://www.mairisch.de

Joschka Fischer: Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik - vom Kosovo bis zum 11. September.


Joschka Fischers Biographie reizte mich aus verschiedenen Gründen. Zum einen liegt der erste Band vor der Zeit, die mich politisierte. Ich wollte gerne mehr aus den Anfangsjahren des rot-grünen Projekts erfahren. Zum anderen ist Joschka Fischer eben einer dieser Menschen, deren Lebenswandel mich nicht loslässt. Von Linksradikalen zum grünen Realo und Kriegsbefürworter. Auch hier wollte ich mehr erfahren.

Fischer teilt den ersten Teil seiner Memoiren in fünf Bereiche ein: Wahlkampf 1998, der Vorlauf zum Kosovo-Krieg, der Kosovo-Krieg, Der Vertrag von Nizza und der Nahostkonflikt bis zum 11. September 2001. Bereits im ersten Kapitel gibt Fischer einen guten Einblick in damalige Verhältnisse der Grünen, die er selbstredent aus seiner Realo-Sicht beurteilt. Im Verlauf des Buches wird er immer wieder auf Entwicklungen innerhalb der grünen Partei zusprechen kommen, die sehr interessant aufgearbeitet sind. Auch seine Ausführungen zum Kosovo-Krieg und dem Vorlauf zu diesem sind sehr detailiert und interessant – er zeigt auf warum aus seiner Sicht mit der Norm “Nie wieder Krieg” gebrochen werden musste.

Das Kapitel rund um die Europäische Union und die Osterweiterung ist meiner Meinung nach besonders interessant. Für Europa-Neulinge macht Fischer sehr gut deutlich, welche Schwierigkeiten die EU zu überwinden hatte (und noch immer hat), aber auch welche großartige Idee hinter dem europäischen Einigungsprozess steckt.

Sprachlich ist Fischers Buch selbstverständlich keine Offenbarung, aber bei einer politischen Biografie ist das auch kein Auswahlkriterium. Seine Erinnerungen sind meiner Meinung nach lesenswert, auch wenn ich seinem Urteil nicht immer folge – detailiert dargestellt werden sie aber dennoch. Nur mit der Selbstkritik hätte Fischer in manchen Situationen sicherlich weniger sparsam sein dürfen. Deswegen würde ich empfehlen ebenfalls ein Buch aus den anderen Reihen der Partei Die Grünen aus der Zeit zu lesen. Auf den zweiten Teil, der im Januar erscheinen soll, bin ich aber dennoch gespannt.